vom 11.10.2022

Zeitdruck beeinträchtigt chirurgische Qualität bei minimalinvasiven Eingriffen

Zeitdruck führt bei minimalinvasiven operativen Eingriffen dazu, dass die durch die Chirurgin oder den Chirurgen ausgeübte Kraft signifikant zunimmt und die Fehlerrate steigt. Diese Qualitätseinbußen konnte ein Forscherteam unter Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) und am Zentrum für taktiles Internet mit Mensch-Maschine-Interaktion (CeTI) der TU Dresden in einer Studie bei Medizinstudierenden ebenso messen wie bei erfahrenen Chirurginnen und Chirurgen. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im renommierten Fachmagazin International Journal of Surgery veröffentlicht.

Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).

Zeitdruck zählt zu den größten Stressfaktoren in der Chirurgie und kann die Qualität chirurgischer Eingriffe beeinträchtigen. Wie genau sich die Verknappung der Zeit auf die chirurgischen Fähigkeiten bei minimalinvasiven Eingriffen – auch Schlüsselloch-Operationen genannt – auswirkt, haben Forschende nun in einer Studie anhand verschiedener Qualitätskriterien untersucht.

In die Studie eingeschlossen waren 63 Probandinnen und Probanden: 43 Medizinstudierende, die zuvor ein bestimmtes Trainingslevel für minimalinvasive Operationstechniken erreicht hatten, sowie 20 in Schlüssellochoperationen erfahrene Chirurginnen und Chirurgen (Assistenz-, Fach- und Oberarzt-Level). Untersucht wurde die von allen Teilnehmenden ausgeübte mittlere und maximale Kraft sowie das Auftreten vordefinierter Fehler bei vier für das Training minimalinvasiver Operationen typischen Aufgaben. Die Aufgaben wurden an einer Trainingsbox ausgeführt, zunächst ohne Zeitvorgabe und zu einem späteren Zeitpunkt unter der Maßgabe, die zuvor individuell benötigte Zeit um mindestens zehn Prozent zu unterschreiten.

Bei der Ausführung der Aufgaben unter Zeitdruck zeigte sich über alle Teilnehmenden hinweg betrachtet ein signifikanter Anstieg bei der mittleren und maximalen Kraftaufwendung. Dieser Anstieg war bei den erfahrenen Operateurinnen und Operateuren bei zwei von vier Aufgaben messbar, bei den Studierenden bei allen vier Aufgaben (mittlere Kraft), beziehungsweise bei drei von vier Aufgaben (maximale Kraft). Die Forschenden arbeiteten hierbei mit einem System, das die ausgeübte Zug- und Druckkraft in allen drei Dimensionen messen kann.

Prof. Marius Distler, stellvertretender Direktor der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie (VTG) des Universitätsklinikums Dresden, erklärt: „Die ausgeübte Kraft, besonders die maximale Kraft, ist ein wichtiges Qualitätskriterium für chirurgische Eingriffe. Wird zu viel Kraft ausgeübt, kann das Gewebe geschädigt werden, mit zum Teil gravierenden Folgen für den Patienten. Wir konnten feststellen, dass die durch den Zeitdruck bedingte erhöhte Kraftausübung bei Anfängern besonders hoch ist und mit zunehmender Erfahrung der Chirurgen abnimmt. Dennoch waren wir überrascht, wie deutlich dieser Effekt auch bei erfahrenen Kolleginnen und Kollegen messbar war.“

„Die Erkenntnisse dieser Studie sind, obwohl sie vielleicht auf der Hand liegen, ein wichtiges Moment, die Abläufe, die Zeitplanungen und die Personalstrukturen in den Kliniken einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Am Universitätsklinikum Dresden erfolgt das seit Jahren durch ein hoch spezialisiertes Qualitätsmanagement“, betont Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Dresden. „Unsere Operationen werden mit umfänglichen Laufzeiten und voll besetzten Teams geplant, was ausreichend Kapazitäten schafft. Der Fokus liegt ganz klar auf Qualität. Der Versuchung, die Dauer von Operationen beispielsweise aufgrund von wirtschaftlichen Erwägungen auf ein Minimum zu reduzieren, sollte man keinesfalls nachgeben“, so Prof. Jürgen Weitz, Direktor der Klinik für VTG-Chirurgie des Universitätsklinikums Dresden und Mitglied im Geschäftsführenden Direktorium des NCT/UCC Dresden.

Der in der aktuellen Studie gemessene erhöhte Kraftaufwand ist gerade auch in der minimalinvasiven Chirurgie ein Problem. Denn hier wird die Kraft über Instrumente oder robotergestützte Systeme ausgeübt. „Der Chirurg hat hierbei ein sehr viel eingeschränkteres Kraftempfinden als bei einer offenen Operation, bei der er das Gewebe direkt berührt. Ein stressbedingter erhöhter Kraftaufwand ist so für Operateurinnen und Operateure schwerer wahrnehmbar. Wir arbeiten daher gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU auch an der Entwicklung von Systemen, die Chirurgen bei minimalinvasiven Eingriffen künftig ein taktiles Feedback bieten sollen“, sagt Dr. Florian Oehme, Oberarzt an der VTG-Klinik des Dresdner Uniklinikums.

Als zweites Qualitätskriterium wurde das Auftreten bestimmter vordefinierter Fehler untersucht. Dabei zeigte sich bei den Studierenden wie bei den erfahrenen Chirurginnen und Chirurgen eine deutliche Zunahme der Fehlerrate bei einer der vier Aufgaben – beim Ausführen einer präzisen Naht (Anzahl Fehler beim präzisen Nähen über alle Teilnehmenden ohne Zeitdruck: 6; mit Zeitdruck: 43)
Alle Teilnehmenden gaben über Fragebögen jeweils vor und nach Absolvierung der vier Aufgaben Auskunft über das selbst empfundene Stresslevel. Hierbei war das persönliche Stressempfinden bei den Studierenden nach Ausführung der Aufgaben unter Zeitdruck deutlich erhöht, während die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen keine wesentlichen Unterschiede vermerkten.

„Dies gibt zumindest einen Hinweis darauf, dass die Selbsteinschätzung erfahrener Chirurginnen und Chirurgen hinsichtlich der Auswirkung von zeitbedingtem Stress auf ihre chirurgischen Fähigkeiten nicht immer zutreffend ist. Zwar waren die über die untersuchten Qualitätskriterien messbaren negativen Effekte bei ihnen geringer als bei den Studierenden, aber dennoch deutlich messbar“, sagt Dr. Felix von Bechtolsheim, Erstautor der Studie und Arzt an der VTG-Klinik.

Insgesamt deutet die Studie darauf hin, dass Zeitdruck in der minimalinvasiven Chirurgie so weit wie möglich reduziert werden sollte. „Vor allem junge Chirurginnen und Chirurgen benötigen zudem ein umfängliches Training in einer stressfreien Umgebung, um Fehler und hohe Kraftaufwände dann in realen Operationen so weit wie möglich vermeiden zu können“, ergänzt Prof. Distler.

Veröffentlichung:
F. von Bechtolsheim, S. Schmidt, et al. Does speed equal quality? Time pressure impairs minimally invasive surgical skills in a prospective crossover trial, International Journal of Surgery, Volume 104, 2022, https://doi.org/10.1016/j.ijsu.2022.106813

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Bildunterschrift: Ein Chirurg an der Trainingsbox für minimalinvasive Operationen. © Uniklinikum Dresden/Marc Eisele

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Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC)
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).
Das NCT hat es sich zur Aufgabe gemacht, Forschung und Krankenversorgung so eng wie möglich zu verknüpfen. Damit können Krebspatienten an den NCT-Standorten auf dem jeweils neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse behandelt werden. Gleichzeitig erhalten die Wissenschaftler durch die Nähe von Labor und Klinik wichtige Impulse für ihre praxisnahe Forschung. Gemeinsamer Anspruch der NCT-Standorte ist es, das NCT zu einem internationalen Spitzenzentrum der patientennahen Krebsforschung zu entwickeln. Das Dresdner Zentrum baut auf den Strukturen des Universitäts KrebsCentrums Dresden (UCC) auf, das 2003 als eines der ersten Comprehensive Cancer Center (CCC) in Deutschland gegründet wurde. Seit 2007 wurde das Dresdner Zentrum von der Deutschen Krebshilfe e.V. (DKH) kontinuierlich als „Onkologisches Spitzenzentrum“ ausgezeichnet.

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Das DKFZ ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.  
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden bietet medizinische Betreuung auf höchstem Versorgungsniveau. Als Krankenhaus der Maximalversorgung deckt es das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. Das Universitätsklinikum vereint 20 Kliniken und Polikliniken, vier Institute und zehn interdisziplinäre Zentren, die eng mit den klinischen und theoretischen Instituten der Medizinischen Fakultät zusammenarbeiten.
Mit 1.295 Betten und 160 Plätzen für die tagesklinische Behandlung von Patienten ist das Dresdner Uniklinikum das größte Krankenhaus der Stadt und zugleich das einzige Krankenhaus der Maximalversorgung in Ostsachsen. Rund 860 Ärzte decken das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. 1.860 Schwestern und Pfleger kümmern sich um das Wohl der Patienten. Wichtige Behandlungsschwerpunkte des Uniklinikums sind die Versorgung von Patienten, die an Krebs, an Stoffwechsel- und an neurodegenerativen Erkrankungen.
Deutschlands größter Krankenhausvergleich des Nachrichtenmagazins „Focus“ bescheinigt dem Universitätsklinikum Carl Gustav Dresden eine hervorragende Behandlungsqualität. Die Dresdner Hochschulmedizin belegt deshalb Platz zwei im deutschlandweiten Ranking.

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden
Die Hochschulmedizin Dresden, bestehend aus der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus und dem gleichnamigen Universitätsklinikum, hat sich in der Forschung auf die Bereiche Onkologie, metabolische sowie neurologische und psychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Bei diesen Schwerpunkten sind übergreifend die Themenkomplexe Degeneration und Regeneration, Imaging und Technologieentwicklung, Immunologie und Inflammation sowie Prävention und Versorgungsforschung von besonderem Interesse. Internationaler Austausch ist Voraussetzung für Spitzenforschung – die Hochschulmedizin Dresden lebt diesen Gedanken mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 73 Nationen sowie zahlreichen Kooperationen mit Forschern und Teams in aller Welt.

Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR)
Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
•    Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
•    Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
•    Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
Zur Beantwortung dieser wissenschaftlichen Fragen betreibt das HZDR große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
Das HZDR ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat fünf Standorte (Dresden, Freiberg, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.