Aktuelle Studie liefert neue Erkenntnisse zur Entstehung von Blutkrebs
Blutkrebserkrankungen wie die Leukämie werden durch genetische Veränderungen in den blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks verursacht. Ein internationales Forscherteam unter Leitung der Universitätsmedizin Mainz hat nun gezeigt, dass chronische Entzündungen das Knochenmark bereits in frühen Krankheitsstadien verändern und so die Entwicklung von Blutkrebs beschleunigen können. An der Studie waren auch Wissenschaftler:innen der Hochschulmedzin Dresden und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT/UCC) Dresden um Prof. Marc Schmitz und PD Rebekka Wehner maßgeblich beteiligt. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Im menschlichen Knochenmark entstehen in jeder Sekunde neue Blut- und Immunzellen. Dafür arbeiten verschiedene Zelltypen zusammen: blutbildende (hämatopoetische) Stammzellen (HSCs), stützende Bindegewebszellen (Stromazellen) und Moleküle bzw. Zellen, die das Immunsystem steuern (Immunregulatoren). Sie bilden die Mikroumgebung des Knochenmarks. Mit zunehmendem Alter können Fehler im Erbgut der blutbildenden Stammzellen auftreten. Wenn sich eine dieser fehlerhaften Zellen stärker vermehrt als die anderen, spricht man von einer klonalen Hämatopoese mit unbestimmtem Potential (clonal hematopoiesis of indetermediate potential, kurz CHIP). Diese Veränderung ist bei 10 bis 20 Prozent der über 60-Jährigen und bei etwa 30 Prozent der über 80-Jährigen nachweisbar. Meist bleibt CHIP harmlos, kann aber das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Blutkrebs erhöhen. Was dabei genau in der Mikroumgebung des Knochenmarks passiert und wann möglicherweise Therapien erfolgreich ansetzen könnten, untersuchten die Wissenschaftler:innen in der vorliegenden Studie.
Dafür analysierten sie sowohl gesunde Proband:innen als auch Patient:innen mit einem Myelodysplastischem Syndrom (MDS), einer Vorstufe der akuten myeloischen Leukämie (AML). Dabei zeigte sich bei den MDS-Patient:innen eine tiefgreifende Umgestaltung des Mikromilieus des Knochenmarks. Die beteiligten Forschungsgruppen entdeckten eine neue Art von entzündlichen Stützzellen, sogenannte iMSCs (inflammatory mesenchymal stromal cells). Diese Zellen ersetzen die gesunden Stromazellen, verstärken Entzündungsreaktionen, beeinflussen die Blutgefäßbildung und interagierten mit bestimmten Immunzellen (T-Zellen). So entsteht ein gefährlicher Kreislauf: Die iMSCs locken T-Zellen an, die wiederum Entzündungssignale aussenden und so die schädlichen Zellen weiter aktivieren. Diese chronische Entzündung stört die normale Blutbildung und fördert die Entstehung von Blutkrebs.
„Die gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass chronische Entzündungsprozesse im Knochenmark bereits in sehr frühen Stadien die Entstehung von Blutkrebserkrankungen maßgeblich beeinflussen. Das Verständnis dieser Veränderungen könnte Möglichkeiten eröffnen, frühzeitig therapeutisch einzugreifen, bevor eine Leukämie entsteht“, erläutert Prof. Marc Schmitz, Medizinische Fakultät der TU Dresden/NCT Dresden. Damit konnte erneut gezeigt werden, dass Mesenchymale Stromazellen (MSC) eine wichtige Schaltstelle in der Knochenmarknische darstellen. Diese stehen im Zentrum der Forschung von Prof. Manja Wobus, Med. Klinik I am Universitätsklinikum, einer der weiteren Koautorinnen aus Dresden.
Das aktuelle Konsortium basiert auf Arbeiten eines vom Deutschen Konsortium für Translationale Forschung (DKTK) geförderten Projektes („CHOICE“, 2019-2022), im Rahmen dessen Veränderungen im blutbildenden System älterer Menschen anhand einer umfangreichen, durch Prof. Platzbecker (Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Dresden) initiierten, Probensammlung von MDS-Patient:innen analysiert wurden. Das CHOICE-Konsortium ging damals der Frage nach, weshalb sich bei manchen Personen aus der sogenannten klonalen Hämatopoese (CHIP) ernsthafte Vorstufen von Blutkrebs wie MDS entwickeln, während andere trotz CHIP keine fortschreitende Erkrankung ausbilden.
Originalpublikation
Inflammatory stromal and T cells mediate human bone marrow niche remodeling in clonal hematopoiesis and myelodysplasia. Nature Communications (2025).
Prummel KD, Woods K, Kholmatov M, Schmitt EC, Vlachou EP, Labyadh M, Wehner R, Poschmann G, Stühler K, Winter S, Oelschlaegel U, Wobus M, Schwartz LS, Moura PL, Hellström-Lindberg E, Rajalingam K, Theobald M, Trowbridge JJ, Carron C, Jaffredo T, Schmitz M, Platzbecker U, Zaugg JB, Guezguez B.
DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-65803-y
An der Studie waren das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) Heidelberg, das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, das Karolinska-Institut in Schweden und die Sorbonne Université in Frankreich beteiligt. Gefördert wurde die Forschung vom Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), dem European Research Council (ERC) und der José Carreras Leukämie-Stiftung.
Kontakt:
Prof. Dr. med. Marc Schmitz
Institut für Immunologie
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
TU Dresden
marc.schmitz@tu-dresden.de
Tel: +49 (0)351 4586501