Neu: Preclinical Model Unit

Lebende Tumormodelle für die Krebstherapie

Am NCT/UCC Dresden bauen Wissenschaftler eine Sammlung von Mini-Tumoren auf, die aus patienteneigenen Krebszellen gezüchtet werden. Diese patientenabgeleiteten Tumormodelle sollen wichtige Informationen liefern, um die optimale Therapie für einzelne Patienten zu finden.

Modernste molekulare Analysemethoden wie die Hochdurchsatz-Sequenzierung ermöglichen es heute, bestimmte Veränderungen im Erbgut oder in anderen Bestandteilen von Krebszellen genau zu charakterisieren. Dieses Wissen kann die Grundlage bilden, um den Tumor exakt an dieser Stelle anzugreifen. Die Therapie lässt sich so immer spezifischer auf die beim jeweiligen Patienten gefundenen Veränderungen ausrichten – „personalisieren“.

Was aber geschieht, wenn die Diagnoseverfahren mehrere therapierelevante Veränderungen aufzeigen? Wie soll der Arzt zwischen verschiedenen Behandlungsoptionen auswählen? Und welche Möglichkeiten gibt es, wenn keine Veränderungen auffindbar sind, an denen sich der Tumor mit einer bekannten Therapie angreifen lässt?

„Hier können patientenabgeleitete Tumormodelle wichtige zusätzliche Informationen liefern. Mit ihrer Hilfe lässt sich etwa die Reaktion des individuellen Tumors auf verschiedene Medikamente testen. Die Modelle helfen uns darüber hinaus, Veränderungen von Krebszellen zu erforschen, deren Relevanz uns aktuell noch nicht bekannt ist. Zudem können sie Einblicke in die Entwicklung und das Fortschreiten von Krebserkrankungen geben“, erklärt Dr. Claudia Ball, wissenschaftliche Laborleiterin in der Abteilung „Translationale Medizinische Onkologie“, die gemeinsam mit PD Dr. Daniel Stange, Oberarzt und Laborleiter an der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Dresden, die neue Preclinical Model Unit am NCT/UCC Dresden leitet.

Die Wissenschaftler arbeiten je nach Fragestellung mit unterschiedlichen Modellen. Für das größte Aufsehen sorgen seit einigen Jahren so genannte Organoide – aus patienteneigenen Stammzellen gezüchtete Zellballen, die Eigenschaften von Mini-Organen aufweisen können. Das Verfahren funktioniert sowohl mit gesunden als auch mit kranken Stammzellen – in beiden Fällen besitzen die Zellen die Fähigkeit, sich selbst zu erneuern und zu verschiedenen Zellen auszudifferenzieren. Aus Tumorgewebe von Patienten können Wissenschaftler daher in vielen Fällen Krebsstammzellen isolieren und daraus lebende Modelle der Tumoren züchten. „An den Mini-Tumoren, die bei Bedarf mit patienteneigenen Zellen aus dem unmittelbaren Tumor-Umfeld angereichert werden, lassen sich unterschiedliche zielgerichtete Krebsmedikamente testen. Das Ergebnis des Tests könnte den Ärzten in Zukunft wichtige Hinweise darauf geben, welches Medikament bei ihrem Patienten voraussichtlich am besten wirkt“, erläutert Dr. Stange. 

Aktuell wird der Ansatz unter anderem bei ersten Patienten aus dem NCT-MASTER-Programm erprobt, das junge Krebspatienten und Patienten mit sehr seltenen Tumorerkrankungen einschließt. „Hier arbeiten wir mit einem zweistufigen Verfahren: Wenn dem Patienten eine Biopsie entnommen wurde, nutzen wir zunächst einige Zellen in Kurzzeitkulturen dazu, um sehr rasch zu testen, wie wenige Standardtherapien und bereits für den Patienten empfohlene Therapien auf die Tumorzellen wirken. Aus dem weiteren Probenmaterial etablieren wir Tumormodelle, die länger lebensfähig sind, sich gut vermehren lassen und je nach Anlage eine komplexe Struktur aufweisen. An ihnen können wir dann viele weitere mögliche Therapien testen und verschiedene Empfehlungen aus dem molekularen Tumorboard und Hypothesen aus der Klinik überprüfen“, so Dr. Ball. 

Um Mini-Tumoren oder andere Tumormodelle heranwachsen zu lassen, sind ausgefeilte Experimentalanleitungen – so genannte Protokolle – nötig. In zahlreichen Schritten müssen die Wissenschaftler den Zellproben beispielsweise spezifische Wachstumsfaktoren hinzufügen – erst dann können in einer gelartigen Matrix Organoide entstehen. „Innerhalb der Preclinical Model Unit bündeln wir das Wissen über die bereits verfügbaren Protokolle zur Herstellung unterschiedlicher Tumormodelle, außerdem entwickeln wir neue Protokolle für seltene Tumoren. Auf dieser Basis erzeugen wir genau charakterisierte Modelle aus unterschiedlichen Patientenproben, die dann NCT-Wissenschaftlern an beiden Standorten für ihre Forschung zur Verfügung stehen“, so Dr. Stange. „Bislang stellen einzelne Gruppen meist selbst das von ihnen benötigte Tumormodell her. Wir bündeln diese Anstrengungen und das verfügbare Wissen nun und machen die Modelle für zahlreiche Forscher verfügbar. Auf dieser Grundlage kann dieser wichtige Baustein der personalisierten Medizin künftig noch besser genutzt werden“, prognostiziert Dr. Ball.