vom 29.08.2023

Computer erkennt Organe im Bauchraum auf Expertenniveau

Intelligente Computerprogramme haben das Potential, Chirurginnen und Chirurgen bei minimalinvasiven Operationen im Bauchraum dabei zu unterstützen, wichtige anatomische Strukturen zu erkennen. Programme, die mit großen Mengen hochwertiger Beispiel-Daten trainiert wurden, identifizieren Organe und weitere Strukturen ähnlich gut wie erfahrene Operateure. Dies zeigt eine Studie von Forschenden der Hochschulmedizin Dresden, am NCT/UCC Dresden, EKFZ und CeTI. Im kommenden Jahr soll das System erstmals im Operationssaal getestet werden. Künftig könnte es dazu beitragen, das Komplikationsrisiko zu senken.  Die Studie wurde im International Journal of Surgery veröffentlicht.

Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).

Wenn anatomische Strukturen während eines chirurgischen Eingriffs nicht erkannt oder falsch interpretiert werden, kann dies zu Komplikationen führen. Bei minimalinvasiven Operationen im Bauchraum, die durch kleine Zugänge und anhand der Videobilder der Operationskamera erfolgen, zählt diese Art von Fehlern zu den häufigsten Komplikationsrisiken. Intelligente Computerprogramme könnten Chirurginnen und Chirurgen bei der Erkennung wichtiger Strukturen künftig unterstützen, wie eine Dresdner Studie von Forschenden der Hochschulmedizin Dresden, am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC), am Else Kröner Fresenius Zentrum für Digitale Gesundheit (EKFZ) sowie am Zentrum für taktiles Internet mit Mensch-Maschine-Interaktion (CeTI) der TU Dresden zeigt. 

Im Rahmen der Studie wurden die Programme darauf trainiert, elf für Darmkrebsoperationen besonders relevante Strukturen – wie Harnleiter, Bauchspeicheldrüse, Dünndarm oder Dickdarm – zu erkennen. Anschließend testeten die Forschenden die Leistungsfähigkeit des Programms am Beispiel der Erkennung der Bauchspeicheldrüse im Vergleich mit 28 menschlichen Probanden. Die künstliche Intelligenz erkannte das Organ hierbei ähnlich gut wie zwei Chirurginnen bzw. Chirurgen mit mehr als zehn Jahren Erfahrung in minimalinvasiver Chirurgie. Alle anderen menschlichen Probanden schnitten schlechter ab. „Unsere Studie ist eine der ersten, die im direkten Vergleich zwischen Mensch und Maschine zeigt, dass intelligente Assistenzsysteme anatomische Gegebenheiten auf klinisch relevantem Niveau identifizieren. Das ist ein vielversprechendes Ergebnis, das wir künftig unter realen Operationsbedingungen weiter testen wollen“, betont Erstautorin Dr. Fiona Kolbinger von der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Dresden und Clinician Scientist am EKFZ.

Für das Training der Algorithmen nutzten die Forschenden einen eigenen Datensatz aus über 13.000 markierten Einzelbildern aus minimalinvasiven Operationen im Bauchraum. „Qualitativ hochwertige Trainingsdaten in ausreichender Zahl sind eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Entwicklung chirurgischer Assistenzsysteme und zugleich äußerst rar. Wir haben einen der umfangreichsten Datensätze erstellt, bei dem verschiedene Organe im Bauchraum pixelgenau durch medizinische Expertinnen und Experten markiert sind. Die Daten sind für alle Forschenden frei zugänglich“, erklärt Prof. Stefanie Speidel, Leiterin der Abteilung Translationale Chirurgische Onkologie am NCT/UCC.

Basierend auf den aktuellen Untersuchungsergebnissen soll das System ab dem kommenden Jahr erstmals im Operationssaal getestet werden. Bei 15 robotergestützten minimalinvasiven Eingriffen bei Enddarmkrebs werden Chirurginnen und Chirurgen dann parallel zum Video der Operationskamera Bilder aus dem Körperinneren sehen, auf denen wichtige Strukturen mithilfe des entwickelten Computerprogramms markiert sind. Voraussetzung ist eine entsprechende Einwilligung der jeweiligen Patientin oder des Patienten. „Wir wollen zunächst evaluieren, ob die Operateure während des Eingriffs gut mit den eingeblendeten Hilfestellungen zurechtkommen. Diese werden nahezu in Echtzeit angezeigt, was eine große Stärke unseres Systems ist“, sagt Letztautor Dr. Sebastian Bodenstedt von NCT/UCC und CeTI. 

Wenn weitere klinische Studien positiv verlaufen, könnten die für Chirurginnen und Chirurgen relevanten Zusatzinformationen künftig direkt in die Videobilder der Operationskamera eingeblendet werden. „Dies könnte in Zukunft dazu beitragen, dass die Qualität einer Operation weniger stark als bisher von der Erfahrung des chirurgischen Teams abhängt. Sehr erfahrene Chirurginnen und Chirurgen erkennen auch diffizile anatomische Strukturen problemlos. Intelligente computerbasierte Systeme sollen dieses Wissen auch Kolleginnen und Kollegen an Zentren mit weniger chirurgischer Expertise beziehungsweise Erfahrung zur Verfügung stellen“, betont Prof. Jürgen Weitz, Direktor der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Dresden. „Das Ziel, Operationsrisiken zu reduzieren und die Sicherheit von Patientinnen und Patienten weiter zu erhöhen, ist uns als Hochschulmedizin Dresden ein großes Anliegen. Wir freuen uns, dass von Dresdner Forschenden in diesem Bereich wichtige Impulse ausgehen“, betont Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Dresden.

Veröffentlichung:
Kolbinger FR, Rinner FM, Jenke AC, Carstens M, Krell S, Leger S, Distler M, Weitz J, Speidel S, Bodenstedt S. Anatomy segmentation in laparoscopic surgery: comparison of machine learning and human expertise - an experimental study. Int J Surg. 2023 Aug 1. doi: 10.1097/JS9.0000000000000595. Epub ahead of print. PMID: 37526099.

Veröffentlichter Datensatz:
Carstens, M., Rinner, F.M., Bodenstedt, S. et al. The Dresden Surgical Anatomy Dataset for Abdominal Organ Segmentation in Surgical Data Science. Sci Data 10, 3 (2023). https://doi.org/10.1038/s41597-022-01719-2  

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Eingeblendete Hilfestellungen zu anatomischen Strukturen sollen Chirurginnen und Chirurgen künftig bei Operationen unterstützen. V.l.n.r.: Dr. Sebastian Bodenstedt, Dr. Fiona Kolbinger © Uniklinikum Dresden/Kirsten Lassig

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Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) 
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).
Das NCT hat es sich zur Aufgabe gemacht, Forschung und Krankenversorgung so eng wie möglich zu verknüpfen. Damit können Krebspatienten an den NCT-Standorten auf dem jeweils neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse behandelt werden. Gleichzeitig erhalten die Wissenschaftler durch die Nähe von Labor und Klinik wichtige Impulse für ihre praxisnahe Forschung. Gemeinsamer Anspruch der NCT-Standorte ist es, das NCT zu einem internationalen Spitzenzentrum der patientennahen Krebsforschung zu entwickeln. Das Dresdner Zentrum baut auf den Strukturen des Universitäts KrebsCentrums Dresden (UCC) auf, das 2003 als eines der ersten Comprehensive Cancer Center (CCC) in Deutschland gegründet wurde. Seit 2007 wurde das Dresdner Zentrum von der Deutschen Krebshilfe e.V. (DKH) kontinuierlich als „Onkologisches Spitzenzentrum“ ausgezeichnet. 

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Das DKFZ ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.  
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs. 
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. 
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden bietet medizinische Betreuung auf höchstem Versorgungsniveau. Als Krankenhaus der Maximalversorgung deckt es das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. Das Universitätsklinikum vereint 26 Kliniken und Polikliniken, sechs Institute und 17 interdisziplinäre Zentren, die eng mit den klinischen und theoretischen Instituten der Medizinischen Fakultät zusammenarbeiten.
Mit 1.410 Betten und 201 Plätzen für die tagesklinische Behandlung von Patienten ist das Dresdner Uniklinikum das größte Krankenhaus der Stadt und zugleich das einzige Krankenhaus der Maximalversorgung in Ostsachsen. Rund 1.120 Ärzte decken das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. 2.250 Schwestern und Pfleger kümmern sich um das Wohl der Patienten. Wichtige Behandlungsschwerpunkte des Uniklinikums sind die Versorgung von Patienten, die an Krebs, an Stoffwechsel- und an neurodegenerativen Erkrankungen.

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden
Die Hochschulmedizin Dresden, bestehend aus der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus und dem gleichnamigen Universitätsklinikum, hat sich in der Forschung auf die Bereiche Onkologie, metabolische sowie neurologische und psychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Bei diesen Schwerpunkten sind übergreifend die Themenkomplexe Degeneration und Regeneration, Imaging und Technologieentwicklung, Immunologie und Inflammation sowie Prävention und Versorgungsforschung von besonderem Interesse. Internationaler Austausch ist Voraussetzung für Spitzenforschung – die Hochschulmedizin Dresden lebt diesen Gedanken mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 73 Nationen sowie zahlreichen Kooperationen mit Forschern und Teams in aller Welt. 

Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR)
Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
•    Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
•    Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
•    Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
Zur Beantwortung dieser wissenschaftlichen Fragen betreibt das HZDR große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
Das HZDR ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat fünf Standorte (Dresden, Freiberg, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.